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CREDO

Ich beschäftige mich mit allem,

was in meinen Reusen hängen bleibt.

Auch mit dem Beifang.

 

Manches davon ist so vielschichtig,

dass ich immer wieder darauf zurück komme,

weil es noch etwas zu sagen gibt.

So entstehen Werkgruppen, in loser Folge,

über Jahre hinweg.

 

Ich folge keinem Konzept.

Konzepte sind mir zu unbeweglich, um den

Wechselfällen des Lebens gerecht werden zu können.

Ich habe eine Haltung.

 

Mein Geschäft ist es, zu deuten und zu verdichten.

 

Wenn man so will, versuche ich aus vierzig Seiten Prosa

einen Vierzeiler zu destillieren.

 

Ist alles gut gegangen, steht am Ende

dieses Prozesses - Poesie.

 

Um nichts anderes geht es.

 

Martin Konietschke

Aufsatz zur Entstehung des Denkmals für Georg Christoph Lichtenberg in seiner Geburtsstadt Ober Ramstadt, für das Jahrbuch der Lichtenberggesellschaft, 2016.
 
„Neue Blicke durch die alten Löcher“.
 
In diesem Satz steckt der ganze Lichtenberg, mit seiner Beobachtungsgabe, seiner Spottlust und Fabulierkunst und seiner stets sehr eigenen Sicht auf die Welt.
 
Diese sechs Worte und der Punkt am Ende sind jetzt zu lesen, eingemeißelt in den Sandsteinsockel seines Denkmals in Ober-Ramstadt.
 
Von Anfang an wollte ich dem Bildnis Lichtenbergs einen seiner Geistesblitze zuordnen. Letztendlich aber kam es anders herum: Die Plastik entstand auf der Grundlage eines Lichtenberg‘schen Gedankens. Was im Falle eines Wort – und Geistesakrobaten seines Ranges wohl auch der der richtige Weg ist.
 
Ich fand ihn in den Sudelbüchern, nach denkbar kurzer Suche, denn ich suchte nach ganz bestimmten Kriterien: Vor allem sollte der Satz kurz sein, auf keinen Fall schulmeisternd, und von der Qualität eines Slogans. Jedermann sollte ihn sich merken und mit nach Hause nehmen können. Eingedenk der Doppelbödigkeit Lichtenberg‘scher beaux mots - ein trojanisches Pferd.
 
Bei der Suche nach einer passenden Äußerung half mir auch, daß die Bücher immer wieder auf jenen Seiten aufschlugen, die ich besonders häufig frequentiert hatte. Seit Jahren liegt immer ein Band des Lichtenberg-Gesamtwerkes aufgeschlagen im Atelier, wie eine literarische Bonboniere, aus der man sich im Vorübergehen bedienen kann. An gewissen Texten konnte ich mich kaum satt lesen, so daß sie besonders lange aufgeschlagen auf dem Tisch lagen. So etwas merkt sich ein Buch.
 
In dieser Phase der Recherche und Formfindung saß ich manche Stunde im Auto, vor dem Rathaus in Ober-Ramstadt, um den künftigen Standort der Plastik festzulegen. Ich beobachtete, welche Wege die Passanten über der Rathausplatz nahmen. Woher sie kamen, wohin sie strebten. Über dieses Bewegungsmuster kam ich auf den jetzigen Standort und die Ausrichtung des Denkmals.
 
Außerdem ging mir auf, wie ich mit den vorhandenen farblichen Strukturen umgehen musste. Den dominantesten Hintergrund für die Figur bildet die Fassade des Rathauses. Diese hat einen dunklen Sockel und darüber einen gelblichen Putz. Um auf diese Konstellation einzugehen und trotzdem einen Kontrast zu schaffen, drehte ich das Muster einfach um: Ich patinierte die Bronze dunkel, und suchte einen gelblichen Stein für den Sockel, den ich in einem Sandstein-Bruch in der Pfalz, bei Kaiserslautern fand. So ist die Plastik auf ihrem Postament gut sichtbar, ohne zu irritieren. Fassade und Denkmal ergänzen sich optisch.
 
Die ersten Schritte waren also gemacht. Jetzt ging es um die Gestalt Lichtenbergs und die Komposition der Plastik.
 
Mit Lichtenbergs Gestalt war ich bereits vertraut, weil ich eine kleine Statuette modelliert hatte, die seit 2013 bei der Vergabe des Lichtenberg - Preises des Landkreises Darmstadt- Dieburg überreicht wird. Trotzdem recherchierte ich noch einmal die Deformation seiner Wirbelsäule mit all ihren Auswirkungen auf seine Physis und seine Psyche und las sämtliche zeitgenössische Beschreibungen dieses gebeutelten Menschen, derer ich habhaft werden konnte.
 
Es ging immer wieder um Verhältnismäßigkeiten:
 
Dem Verhältnis seiner Wirbelsäule zu seinen gerade gewachsenen Knochen.
Dem Verhältnis seiner Lebenslust zu seinen Schmerzen.
Dem Verhältnis seines Kopfes zu seinen Füßen.
Das Verhältnis seiner Neugier zu seinen Möglichkeiten.
Dem Verhältnis seiner Behinderung zu seinen Geistigen Überflügen.
Dem Verhältnis seiner Hühnerbrust zu seinem Buckel.
Dem Verhältnis seiner Liebesfähigkeit zu seiner Leidensfähigkeit.
 
Meine wichtigsten Wegweiser und Koordinatengeber für die Gestaltung der Figur waren jedoch der bekannte Scherenschnitt und die vielleicht noch bekanntere kleine, humorige  Zeichnung seines Studenten Blumenbach.
 
Scherenschneider können sich ausschließlich auf die Silhouette des Modells konzentrieren, was enorm viele Fehlerquellen ausschließt. Lichtenberg selbst fand die Arbeit gelungen.
Plastiken setzen sich aus unzähligen Silhouetten zusammen, weshalb ich als Bildhauer darin geübt bin, in Silhouetten zu denken, um sie plastisch umzusetzen.
Das macht einen Scherenschnitt zu einer äußerst wertvollen Informationsquelle.
Auch  deshalb, weil sie als Portraitschnitt in der Regel keine Emotion abbilden.
 
Was die kleine Zeichnung Lichtenbergs angeht, so lieferte sie mir die meisten Hinweise, nicht nur für sein Portrait, sondern für seine gesamte Erscheinung.
 
Da die Familie des Studenten Blumenbach mit Lichtenberg bekannt bis befreundet war, denke ich mir, dass der junge Mann einigermaßen entspannt an die Arbeit ging.
Er schuf eine Karikatur, für sich und seine Kommilitonen und tat genau das, was ein ernsthafter Portraitist auch tut:
 
Er lässt alles weg, was sich nicht besonders aufdrängt und auf das, was sich besonders aufdrängt, legt er noch ein bis zwei Scheiben drauf.
 
Für mich besonders wichtig war das, was er unbewusst tat. Details, die er eher beiläufig notiert haben dürfte, wie – ich könnte wetten – die großen Füße und die schmale Oberlippe in Verbindung mit dem etwas vorgeschobenen Unterkiefer.
Letzteres lässt auf fehlende Zähne schließen. Die Maler jener Zeit hatten ihre Probleme, den Wünschen ihrer Auftraggeber nachzukommen. George Washington setzte man für Portraitsitzungen eine Holzprothese ein, um die schmale Oberlippe zu kaschieren. Goya hingegen hatte als Hofmaler mit seiner Chefin, Königin Maria Luisa, mit den Jahren immer weniger Mitleid. Das lag vielleicht an seiner Wahrheitsliebe, ich persönlich vermute aber, dass sie ihm auch ohne Zähne schon zu bissig war.
 
Übrigens zeichnet der junge Blumenbach die Köpfe Lichtenbergs und gleich daneben des Historikers Schlözer streng im Profil, um Räumlichkeit zu vermeiden. Denn - räumlich kann er nicht. Profil hat er geübt. Das sieht man. Hierfür gibt es Systematiken, die man ganz gut trainieren kann.
Er macht fast genau das Gleiche wie ein Scherenschneider und vermeidet dadurch Fehlerquellen und jede Menge dünnes Eis.
Wird die Sache dreidimensional, bricht er sofort ein. Angefangen bei den Schleifchen  in Lichtenbergs Zopf, bis zu den Füßen – die ganze Figur wirkt, als wäre sie aus einem ägyptischen Fries gepurzelt.
 
Da ich die Komposition dieser Zeichnung zur Basis für meine Bronze machte – zumindest Körperhaltung und Beinstellung – war es an mir, die Sache ins Räumliche  zu zu er erweitern. Trotzdem behielt die Arbeit eine Hauptansichtsseite, die dem unfreiwilligen Ägyptizismus des jungen Blumenbach geschuldet ist.
 
Die Originalgröße der Hände ließ sich durch eine Umrisszeichnung seiner Hand durch Lichtenberg selbst feststellen, was viele Rückschlüsse zuließ. Auch den, dass er vermutlich sehr schöne Hände hatte.
 
Bleibt noch der große Kopf.
 
Man stelle sich dieses schmale Männchen vor, mit seinen dünnen Beinchen, den Armen, die bis zu den Knien reichten, dem viel zu kurzen Rumpf, auf welchem ein riesiger Schädel ohne sichtbaren Hals prangt, als sei er darauf gelegt worden.
 
Ein riesiger Schädel? Nein! Eine optische Täuschung. Und genau darauf hat ein  Künstler einzugehen: Auf die optische Täuschung – nicht auf das Originalmaß. Denn das Originalmaß mag die Realität sein, für den Betrachter ist der gefühlt große Schädel die Wirklichkeit!
 
Was die Physiognomie anbelangt, so suchte ich mir Merkmale zusammen, die auf den  wenigen bekannten Portraits am häufigsten anzutreffen waren:
 
Eine relativ hohe Stirn, die durch die weit hinten ansetzende Perücke noch höher wirkt; relativ weit auseinander stehende Augen; eine relativ kleine, kecke Nase; recht hoch angesetzte, ausgeprägte Jochbeine; ein relativ langes, aber kein hartes Kinn und die markanten „Magenfalten“, quasi ausgeprägte Grübchen.
 
Das waren nun meine Koordinaten.
 
Der erste kleine Entwurf zeigt Lichtenberg, wie er sein Guckloch, welches er mit Daumen und Zeigefinger bildet, direkt vor sein Auge presst, um einen Blick auf die Welt zu tun.
Später änderte ich die Komposition und ließ ihn seinen Durchblick mit Distanz tun.  Aus zwei Gründen: Erstens hat ein Wissenschaftler Distanz zu seinen eigenen Anschauungen zu waren, weil er sonst den Überblick verliert.
Und zweitens öffnet sich ein ungeheuer spannender Raum zwischen der Hand mit den abgespreizten Fingern und Lichtenbergs Profil, was die raumgreifende, und raumdefinierende Präsenz der Plastik enorm steigert.
Das Ganze ist so ausgerichtet, dass der Betrachter vor dem Sockel stehend, aus einer bestimmten Position heraus Lichtenberg direkt ins Auge blickt – oder von ihm erfasst wird… .
 
Um Lichtenberg in seiner wahren Größe zu zeigen, ohne seine Originalmaße zu verändern, griff ich auf das Kompositionsprinzip einer sich von links unten nach rechts oben empor windenden Spindel zurück, was eine positive, dynamisch aufsteigende Bewegung suggeriert und den kleinen Lichtenberg erst zu dem macht, was er war.
 
Das Prinzip findet sich in den langgestreckten Figuren gotischer Kathedralen wieder, bei Michelangelos gefesselten Sklaven, denen er damit explosive Kraft verlieh, oder ganz profan, in der grafischen Darstellung des täglichen Börsenverlaufs.
 
Das heißt, dass meine Figur von Diagonalen dominiert wird, die sich – immer wieder unterbrochen - rings herum aufsteigend, fortsetzen.
 
Es gibt keine Richtung, keine Neigung einer Form, die nicht ihre Entsprechung fände. Folgt man beispielsweise der Neigung der Finger, wiederholt sich deren Winkel in der Schleife am  Hinterkopf, wird vom Schienbein eines Beines aufgenommen, oder markiert exakt den Ansatz und Winkel einer Wade. Es gibt keine Zufälle. Es handelt sich um etwas wie künstlerische Mathematik. Man denke an Johann Sebastian Bach. Das ist die selbe Logik in Musik!
Hält man diese Logik nicht durch - zu der natürlich auch jede Menge Überraschungen gehören, damit es nicht langweilig wird (...da wären wir dann bei Mozart!) -  entstehen Spannungslöcher. Fade Stellen, an denen sich beim Betrachter Beklommenheit breit macht. Oder Unlust weiter hinzuschauen - oder gar Langeweile.
 
Weil das so ist, kaufte ich mir – die Plastik war fast fertig – einen ziemlich monströsen Elektrofuchsschwanz und schnitt der Figur das halbe Gesicht weg, die komplette Hand mit Buch auf dem Rücken und einen guten Teil der rechten Schulter.
Wochen der Arbeit waren dahin.
 
Ich hatte zu lange um einen formalen Fehler herum gearbeitet, um ihn in den Griff zu bekommen, ohne derart rabiat eingreifen zu müssen. Aber so etwas nimmt eine Plastik übel. Sie stäubt sich. Nichts stimmt mehr. Man hat die Möglichkeit die Sache mit Routine so hin zu schubsen, dass es nicht so auffällt, um ein Leben lang den eigenen Pfusch und die eigene Mutlosigkeit in Bronze gegossen zu wissen, oder so etwas wie eine Selbstamputation vorzunehmen, was ich dann tat.
 
 Picasso sagte einmal: Wenn ich male, bin ich ständig dabei, die „schönen Stellen“ in meinem Bild zu übermalen.
 
Das trifft es genau, und zeugt von sehr viel Erfahrung! Wenn man um diese Stellen herum malt, modelliert, textet, komponiert –  dies gilt für alle Künste – zerstört man die Homogenität des Werkes. Das heißt, es bleibt nur ein Trümmerhaufen.
 
Zum Schluß noch ein paar Worte zu Material und Handwerk.
 
Ich habe die Plastik in Gips aufgebaut. Dazu konstruierte ich zunächst ein Gerüst aus Holzlatten und Kanteisen, welches ich komplett mit einem Anstrich von Schellack isolierte. Denn Holz quillt auf, in einem nassen Milieu und Eisen rostet im Kontakt  mit dem sauren, ätzenden Gips.
Anschließend umwickelte ich die Konstruktion mit grobmaschigen, in Gips getauchten Rupfenbahnen, wie sie zum Schutz empfindlicher Pflanzen vor der Winterkälte  gebräuchlich sind. Unterfüttert wurde das ganze mit Styropor, um die Angelegenheit nicht zu schwer werden zu lassen.
Den Gips trug ich nach und nach, immer in Verbindung mit einigen Rupfenfasern  auf, und bearbeitete ihn anschließend mit sehr groben bis feinen Raspeln, doch in der Regel mit einem Beil, mit dem ich – man stelle sich vor – sehr zärtlich in Lichtenbergs Gesicht herumhackte. Das geht wirklich!!!
 
Das vollendete Werk transportierte ich dann in die Kunstgießerei Werner in Ballersbach bei Mittenaar,  wo es sofort in fünf Teile zersägt wurde, um diese einzeln abzuformen und in Bronze zu gießen. (Das ist immer ein bitterer Moment im Bildhauerleben.) Anschließend wurden die gegossenen Teile wieder zusammengeschweißt, ziseliert, patiniert, mit einem speziellen Lack überzogen, der vor allen möglichen Unbilden schützt, besonders vor Sprayern.
 
Während der Gießer seine Arbeit tat, wurde der grob gebrochene Sandstein geliefert und in einem heimischen Steinmetzbetrieb in Form gebracht, wobei nur die Ober- und Unterseite plan gesägt wurden. Auf den Seitenflächen des Kubus blieben sämtliche Bearbeitungsspuren, wie die halben Bohrkanäle zum Setzen der Sprengeisen, erhalten. Bis auf eine plane Fläche, die der Schrift vorbehalten blieb.
 
Nun steht Lichtenberg auf seinem Sockel, vor dem Rathaus seiner Geburtsstadt, am vorderen Ende einer lang gestreckten Plinthe, über deren Kante sich die Spitze seines rechten Fußes schiebt – denn er war seiner Zeit ja immer ein wenig voraus… .
 
Martin Konietschke
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